19. Adventfenster

Adventkalender 2021 als Zusammenfassung von Giorgio Agambens Buch

„An welchem Punkt stehen wir? Die Epidemie als Politik“

  • 19. Adventfenster – Zusammenfassung Kapitel 13
  • „Biosicherheit und Politik“
    11.5.2020
    In diesem Kapitel zitiert Agamben das Buch „Tempêtes microbiennes, Gallimard 2013 “ von Patrick Zylberman. Der Autor beschreibt in diesem Buch die Ausweitung des Prinzips der sanitären Sicherheit von einer bislang marginalen Rolle zum wesentlichen Bestandteil der Politik auf internationaler Ebene.
    Das Ziel ist die Schaffung eines „Gesundheitsterrors“ zur Verwaltung des Worst-Case-Szenarios als politisches Leitprinzip. Die Anfänge dieses Dispositivs gehen auf die WHO im Jahr 2005 zurück, wo anlässlich der Vogelgrippe die Umrisse dieser Politik wie folgt festgelegt wurden:

    • Die Ausarbeitung eines fiktiven Szenarios, das die Verwaltung in einer extremen Lage ermöglicht
    • Die lückenlose Reglementierung der Bevölkerung, mit dem Ziel der größtmöglichen Zustimmung durch einer Art überspitzten Bürgersinn, der die auferlegten Pflichten als Selbstlosigkeit empfindet

    Dadurch verwandelt sich das Recht auf Gesundheit (health safety) in eine Pflicht zur Gesundheit (biosecurity).
    Das neue Regierungsparadigma basiert auf der Bekämpfung eines Virus, das dann irgendwann von einem anderen Virus abgelöst wird. Die höchste Form der Bürgerbeteiligung in diesem politischen Paradigma ist somit die vollständige Einstellung jeglicher politischer Tätigkeit.
    Das paradoxe Bild, das wir heute sehen ist, dass linksgerichtete Organisationen, die ursprünglich Rechte einfordern, plötzlich die Freiheitsbeschränkungen widerspruchslos annehmen und verfassungswidrige Verordnungen beschließen, von denen nicht einmal der Faschismus zu träumen wagte.
    Social Distancing gilt als neues Modell und menschliche politische oder freundschaftliche Ansammlungen gelten als potenzielle (politische!) Ansteckungsquelle, digitale Geräte ersetzen die menschlichen Kontakte.  Die Erkennung erfolgt nicht mehr am (maskierten) Gesicht, sondern durch verpflichtende biometrische Daten.
    Die umfassende Vision dieser zukünftigen Gesellschaft ersetzt die Apokalypse (das Ende der Welt) des niedergegangenen Christentums durch eine wirtschaftlich-medizinische Biosicherheit.

    Agamben stellt seinen Leser/innen die Frage, ob sie solch eine Gesellschaft menschlich finden? Ob es sich auszahlt, für eine vermutlich gänzlich abstrakte und fiktive sanitäre Sicherheit, unsere persönlichen Kontakte und unser Gesicht zu verlieren?