Adventkalender 2021 als Zusammenfassung von Giorgio Agambens Buch
„An welchem Punkt stehen wir? Die Epidemie als Politik“
23. Adventfenster – Zusammenfassung Kapitel 17
„Das Recht und das Leben“
Juni 2020
Die menschliche Gesundheit ist zum Spieleinsatz unserer Zeit geworden. Aus dem Grund lädt Agamben seine Leserschaft ein, über das Verhältnis zwischen Leben und Recht nachzudenken.
Agamben zitiert Yan Thomas, den Rechtshistoriker und Kenner des Römischen Rechts, wonach die Natur und das biologische Leben des Menschen nie Eingang in die römische Jurisprudenz hatten. Das bedeutet, dass die Natur als fiktives Gemeingut behandelt wurde, um die Luft, das Meer und dessen Ufer aus dem Bereich des Eigentumsrechts auszuschließen.
Das Gemeingut gilt somit als res nullius (niemandes Sache) und begründet somit das Eigentum desjenigen, der als erster davon Besitz ergreift.
Die Staatsbürgerschaft wird ähnlich gehandhabt, sie ist eine juridisch unverjährbare und unveräußerliche Tatsache und erfolgt nach orgio (Geburtsort des Vaters) und ist somit vom domicilium (physischer Wohnort) zu unterscheiden.
Erst die Juristen des 19. Jahrhunderts verwandelten orgio in das Abstammungsprinzip ius sanguinis (Abstammung des Blutes). Dieses juristische Umdenken der Neuzeit legt den Grundstein für das heute in der Politik vorherrschende biologistische Denken.
Die juristische Besetzung des Lebens macht es somit zum staatlichen Gegenstand des Schutzes oder auch des Ausschlusses. Dies birgt dann Gefahren, wenn Politik zur Biopolitik wird und – wie uns Michel Foucault gezeigt hat – auf fatale Weise in Thanatopolitik umschlagen kann.
Je mehr sich also das Recht mit dem Schutz des biologischen Lebens der Bürger als Wert an sich beschäftigt, desto eher entsteht die Idee des „lebensunwerten Lebens“ als Gegenwert. Wird also die Gesundheit des Einzelnen zum Gegenstand einer zur Biopolitik gewandelten staatlichen Politik, fällt dies dann nicht in den Verantwortungsbereich des Einzelnen, sondern wird zur staatlichen Gesundheitspflicht.
Die Kehrseite des staatlichen Gesundheitsschutzes ist die Beseitigung jeglicher Erkrankungsfaktoren. Die eugenischen Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes sind das erste Beispiel dafür. Hitler bezog sich dabei auch auf die eugenischen Forschungen des US Carnegie Institutes und der US Rockefeller Foundation.
Agamben plädiert dafür, Recht und Medizin dringend voneinander zu trennen und sie nicht miteinander zu verwechseln. Der Arzt behandelt nur die Krankheiten, und zwar nach dem Grundsatz des seit Jahrhunderten geltenden hippokratischen Eids.
Warum schlägt das Agamben vor? Denn, wenn sich die Medizin mit der Politik verbündet, dann hat das nicht nur negative Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit, sondern die Medizin setzt sich auf die Stelle des Gesetzgebers. Die Medizin liefert somit die medizinischen Gründe, die von der Politik als hervorragenden Vorwand für die beispiellose Überwachung des sozialen Lebens übernommen werden.
Die Medizin macht sich zur Komplizin des Überwachungsstaates.