Adventkalender 2021 als Zusammenfassung von Giorgio Agambens Buch
„An welchem Punkt stehen wir? Die Epidemie als Politik“
20. Adventfenster – Zusammenfassung Kapitel 14
„Polemos Epidemios“
Gespräch mit Dimitra Pouliopoulou für die griechische Zeitschrift „Babylonia“
vom 20.5.2020
Agamben berichtet einleitend zu diesem Interview, dass die Coronavirus Epidemie weniger wegen ihrer höheren Letalität, als wegen ihrer beispiellosen globalen Mobilisierung in die Geschichte eingehen wird.
Gedanken, die Agamben auch in diesem Kapitel wiederholt, werden außer Acht gelassen. Zwei neue Ideen Agambens sollen hier vorgestellt werden:
Die erste Idee ist die Globalisierung des Begriffs „polemos epidemios“, den schon Homer als Bürgerkrieg definiert. Der seltsame Ausdruck „social distancing“, der weltweit zeitgleich auftaucht, als wäre dieses Vokabular vorbereitet gewesen, stellt das neue Paradigma dar.
Agamben meint, dass die verschiedenen Menschenrechtserklärungen den Übergang von der Souveränität von Gottes Gnaden (der Mensch als Untertan) zur nationalen Souveränität (der Mensch als Bürger) markieren.
Natio bedeutet Geburt, der Nationalstaat begründet seine Souveränität somit auf dem Abstammungsprinzip. Daher unterscheidet der Staat zwischen Menschen und Bürgern. Nur Bürger der staatlichen Souveränität erhalten alle vollen Rechte.
Der Flüchtling bricht diese Identität und hebt die homogene Dreieinigkeit „ein Volk, ein Territorium, eine Regierung“ als Narrativ auf. Statt Kriegsrhetorik gegenüber Flüchtlingen und der Errichtung von „Seelenlagern“ wie in Griechenland, plädiert daher Agamben für eine neue Auffassung von Staatsbürgerschaft.
Die Idee der Staatsbürgerschaft von Athen bis zur Moderne ist der politische Kern der Stadt. Durch das neue Paradigma der Biosicherheit ist jedoch die Staatsbürgerschaft zum Gegenstand der misstrauischen Überwachung verkommen. Denn der Bürger wird – so wie der Flüchtling – auf das nackte biologische Leben reduziert. Der Bürger wird ununterscheidbar vom Flüchtling, beide werden zum Homo Sacer.
Deswegen schlägt Agamben vor, den Flüchtling anstelle des Bürgers als Fundament eines neuen politischen Horizonts zu betrachten.
Die zweite Idee die uns Agamben präsentieret ist der Unterwanderungsprozess der Demokratie, die zu einer leeren Worthülse geworden ist. Die westliche Politik war immer schon dual, zB zwischen geistlicher und weltlicher Macht oder zwischen der Arbeiterbewegung und den staatlichen Organisationen.
Lt. Karl Polanyis These wurde diese Dualität jedoch seit der 1. Industriellen Revolution heimlich aufgegeben, da die Marktideologie und die staatliche Macht zusammenarbeiteten und eine Einheit gründeten.
Die heutige Dualität findet daher lt. Agamben zwischen der WHO und dem Nationalstaat statt, der die Zwangsmaßnahmen umsetzt und den Regierenden die Möglichkeit bietet, sich als Retter der Nation zu präsentieren.
Die Epi-demie die auf den demos verweist, wird zur Pan-demie erklärt. Das Volk verliert seinen politischen Körper und wird zur biopolitischen Bevölkerung.
Was tun?
Die aristotelische Frage der besten Regierungsform zur Bewältigung der Pandemie kann daher lt. Agamben nur jenseits der heute existierenden Modelle stattfinden: der Demokratien, die zu immer despotischeren Überwachungsformen greifen und der Despotien, die sich immer geschickter als Demokratien verkleiden.
Das Rechts-Links Schema hat keine politische Bedeutung mehr. Klar und wahr denken zu können gilt unabhängig von der politischen Zugehörigkeit. Anstatt den Wahrheitsgehalt einer an sich richtigen Meinung aus politischen Gründen zu hinterfragen, sollten wir daher eher die Strategie untersuchen, in die sich diese Meinung einschreibt.