Adventkalender 2021 als Zusammenfassung von Giorgio Agambens Buch
„An welchem Punkt stehen wir? Die Epidemie als Politik“
Ende der Zusammenfassung – letztes Kapitel 20
„Was sind Furcht und Angst?“
13.7. 2020
Agamben zitiert Heidegger, der die Furcht als „Befindlichkeit“ beschreibt. Die Befindlichkeit ist wiederum lt. Heidegger der konstitutive Zustand des Menschen, in dem seine Öffnung zur Entdeckung der Welt liegt.
Laut Agamben ist es eine Illusion anzunehmen, dass wir diese Befindlichkeit beherrschen können. Denn die Befindlichkeit ist ontologischer Natur und soll nicht mit einem seelischen Zustand oder einem Gefühl verwechselt werden.
Heidegger untersucht die Furcht von drei Aspekten:
– Wovor fürchtet sich der Mensch? Hier handelt es sich immer um ein innerweltliches Begegnendes. Das wovor der Mensch sich fürchtet, ist real und wirkt, obwohl es einigermaßen bekannt ist, bedrohlich.
– Was ist das Fürchten selbst? Hier geht es nicht um ein zukünftiges Übel, vor dem sich der Mensch fürchtet, sondern als schlummernde Möglichkeit des in-der-Welt-seins.
– Worum geht es bei der Furcht? Nur Seiendes, dem es in seinem Sein um dieses Selbst geht, kann sich um Haus und Hof oder um einen anderen Mitmenschen fürchten.
Es gibt laut Heidegger verschieden Stufen der Furcht: Das Erschrecken setzt eine Plötzlichkeit des Eintretens der Furcht voraus. Das Grauen setzt das Eintreten des Unvertrauten voraus. Und das Entsetzen beinhaltet Plötzlichkeit und Unvertrautes in einem.
Heidegger untersucht ebenso die Angst als „Grundbefindlichkeit“, wobei das „Wovor hat der Mensch Angst“ – im Gegensatz zur Furcht – kein innerweltliches Begegnendes und völlig unbekannt ist. Die Angst ist daher – im Gegensatz zur Furcht – ein latentes und unbestimmtes Gefühl ohne realen Gegenstand.
Agamben meint, dass Angst und Furcht sich leicht umkehren lassen. Die momentane Furcht vor dem Virus, dem kleinsten Lebewesen überhaupt, schlägt um in ein Ohnmachtsgefühl und dem Versuch der Menschen, sich vor dieser Gefahrenquelle mit Mundschutz und sich zu Hause einsperren, zu schützen.
Diese Vorkehrungen bringen jedoch keine beruhigende Wirkung, sondern verstärken die Furcht und das Gefühl der Ohnmacht.
Somit wird lt. Agamben die Furcht zum Gegenteil des Willens zur Macht. Denn ausgerechnet diejenigen, die beruhigen sollten, schüren die Unsicherheit und erinnern die Verängstigten unablässig daran, dass der Auslöser ihrer Furcht unbesiegbar ist und nicht ausgemerzt werden kann.
Wie können wir dieses Dilemma bewältigen? Agamben meint, dass hier weder rationale Argumente noch Beweise hilfreich sind. Denn die Furcht verwirrt und macht kopflos.
Agamben ruft daher dazu auf, uns an uns selbst und an unser In-der-Welt-Sein zu erinnern. Wie ein Baum uns erschlagen könnte, wie ein Bach ein Dorf überfluten könnte, wie ein Mensch uns verletzen könnte, so sollten wir mit der Situation, in der wir uns befinden, umgehen.
Wird eine solche Möglichkeit plötzlich real, dann veranlasst uns eine berechtigte Sorge zu angemessenen Vorkehrungen. Ohne uns jedoch in Panik versetzen zu lassen. Ohne den Kopf zu verlieren. Ohne anderen zu erlauben, ihre Macht auf unserer Angst zu gründen. Ohne mir vorschreiben zu lassen, was ich darf und was ich nicht darf. Ohne die Prinzipien, die bisher meine Rechte und Freiheiten garantiert haben, außer Kraft zu setzen.